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Warum sind wir so fixiert auf Kunsthandwerker und deren Handwerk?

Geschickte Handwerkerinnen und Handwerker, die Objekte ganz oder teilweise von Hand bauen, schaffen oder herstellen, sind im 21. Jahrhundert seltener zu finden, als sie es einst waren. Doch in diesem Zeitalter der Schnelllebigkeit, in dem Qualität oft zugunsten eines niedrigen Preises und eines bequemen Einkauferlebnisses geopfert wird, sehnen sich viele Menschen nach der Sorgfalt, dem Know-how und den schönen Endergebnissen handwerklicher Produkte. Man könnte sagen, dass es Handwerkerinnen und Handwerkern wohl seit der Zeit vor der industriellen Revolution nicht so gut ging.


Warum sind wir so fixiert auf Kunsthandwerker und deren Handwerk?

 

Geschickte Handwerkerinnen und Handwerker, die Objekte ganz oder teilweise von Hand bauen, schaffen oder herstellen, sind im 21. Jahrhundert seltener zu finden, als sie es einst waren. Doch in diesem Zeitalter der Schnelllebigkeit, in dem Qualität oft zugunsten eines niedrigen Preises und eines bequemen Einkauferlebnisses geopfert wird, sehnen sich viele Menschen nach der Sorgfalt, dem Know-how und den schönen Endergebnissen handwerklicher Produkte. Man könnte sagen, dass es Handwerkerinnen und Handwerkern wohl seit der Zeit vor der industriellen Revolution nicht so gut ging.

Kunsthandwerkerinnen und -handwerker sind vielleicht nicht in der Lage, Massenprodukte in dem Maße herzustellen, wie es globale Konzerne können. Sie können also wohl weniger gut der wankelmütigen Natur trendbewusster Verbraucherinnen und Verbraucher gerecht werden. Doch die unabhängige Handwerksarbeit etabliert sich naturgemäß – als Beispiel für Hochkultur – jenseits der Modewelt. Sie überdauert Trends und repräsentiert zeitlose Qualität. Und ihre Seltenheit ist nur eines der Dinge, die sie umso begehrenswerter machen.

 

Beispiele für Handwerksprodukte

Das Kunsthandwerk umfasst die ganze Skala kultureller Modeerscheinungen. Für jedes Bedürfnis im Leben (und auch für die meisten Wünsche) gibt es ein Handwerk, das ihm gerecht wird. Kunsthandwerkerinnen und -handwerker stellen also nicht nur Produkte her, die unser Leben erleichtern. Sie sorgen auch für eine dekorative Funktion und tragen dazu bei, unser Leben zu bereichern und ästhetisch ansprechender zu gestalten.

Hier sind nur einige Beispiele für die Bereiche, in denen Sie die Kunstfertigkeit von Handwerkerinnen und Handwerkern finden:

  • Schmuckherstellung
  • Kleiderdesign
  • Möbelherstellung (auch Möbeltischlerei genannt)
  • Design von Haushaltswaren (wie Messerherstellung)
  • Uhrmacherei
  • Lebensmittelproduktion
  • Werkzeugbau
  • Fliesenherstellung
  • Bierbrauerei
  • Weinherstellung
  • Klöppeln
  • Schildmacher
  • Brandmalerei (gebrannte Holzverzierung)
  • Glasbläserei
  • Steinschneider (Schneiden und Schleifen von Edelsteinen)
  • Gitarrenbau
  • Teppichherstellung

 

Glasbläser

 

Was ist mit all den Handwerkerinnen und Handwerkern passiert?

Viele (eigentlich die meisten) der oben genannten Berufe wurden in den mehr als hundert Jahren nach der industriellen Revolution automatisiert, d.h. dass viele Handwerker und Kunsthandwerker aus ihrem Beruf (oder in die Arbeit für Massenproduzenten) gedrängt wurden und die Qualität dieser Produkte in vielen Fällen dadurch beeinträchtigt wurde.

Herstellungsmethoden in der Fabrik bedeuten, dass eventuell Verzierungen geopfert wurden. Andererseits haben solche Methoden diese Elemente möglicherweise auch überperfektioniert, so dass sie die handgefertigten Merkmale verlieren, die wir so daran schätzen. 

Auch die Materialien handwerklich hergestellter Produkte sind durch den Massenmarkt weitgehend durch billigere Alternativen ersetzt worden, damit die Massenhersteller ihre Gesamtkosten senken und auf dem Markt wettbewerbsfähiger sein können (mit anderen Worten: sie können billiger verkaufen). Ein Nebeneffekt davon (neben der Tatsache, dass sie vielleicht nicht so gut funktionieren oder uns nicht so viel Freude bereiten wie Handwerksprodukte) ist, dass Massenprodukte nicht so lange halten wie Handwerksprodukte und der Massenmarkt profitiert davon, indem er genau das in seine Produktionsstrategie aufgenommen hat.

Geplanter Verschleiß ist der Prozess, durch den ein Gegenstand innerhalb eines bestimmten Zeitraums absichtlich verschleißt, zerbricht oder erneuert werden muss, damit die Verbraucher weiterhin bei der Firma, die es hergestellt hat, einkaufen können. Für den Massenmarkt ist ein schöner, handgefertigter Gegenstand, der ein Leben lang hält, nichts Gutes, weil er , den Besitzer oder die Besitzerin des Gegenstandes als Kunden oder Kundin verliert.

Diese wirtschaftliche Abwärtsspirale hat im 21. Jahrhundert viele Menschen, die genug von der falschen Ökonomie von Produkten haben, welche nicht nur nicht mehr so schön aussehen wie früher, sondern auch nicht mehr so lange halten, gezwungen, ihre Beziehungen zu den Produkten in ihrem Leben neu zu bewerten. Infolgedessen hat der Markt für handgefertigte (oder zumindest teilweise handgefertigte) Gegenstände in den letzten Jahrzehnten einen starken Aufschwung erlebt.

Bereits 2016 berichtete The Guardian dass der britische Handwerksmarkt mit einem Volumen von 3 Milliarden Pfund jährlich um 4 5 % wächst und der Beweis für diese Behauptung folgte kurz darauf im Jahr 2017 als der Gesamtwert des britischen Einzelhandelsmarktes innerhalb eines einzigen Jahres von 351 Milliarden Pfund auf 366 Milliarden Pfund anstieg. Laut dem Anthropologen Keirsey Group machen Handwerker heute 30 % der Weltbevölkerung aus, was darauf hindeutet, dass der Handwerksboom des 21. Jahrhunderts kulturell gesehen durchaus Wurzeln geschlagen haben könnte.

 

Siebdruck

 

Warum lieben wir Produkte, die von Handwerkerinnen und Handwerkern hergestellt werden?

Was uns Handwerksprodukte geben und ihre massenproduzierten Verwandten nicht haben, sind alles Dinge, die beim Übergang zur Massenproduktion verloren gingen: hochwertigere Materialien, bessere Bauqualität, größere Funktionalität und, was entscheidend ist, dieses fast unbeschreibliche Gefühl, dass etwas von einer realen Person und nicht von einer Maschine gefertigt wurde. 

Man muss keine Handwerkerin und kein Produktionsexperte sein, um zu wissen, ob sich ein Produkt solide, zuverlässig und gut gebaut anfühlt oder nicht. Man kann diese Dinge schon allein

Womit dich Massenprodukte herumkriegen, sind Marketing und Sprache, die zur Formung deiner Erfahrung mit ihnen verwendet werden – sie machen Lust darauf, trotz besseren Wissens, das uns sagt, dass diese Produkte nicht so gut sind wie die handgefertigte Alternative. Handwerksprodukte hingegen vertrauen auf die ihnen innewohnenden Eigenschaften, Ihren Kaufwunsch zu motivieren: Sie erfüllen dich mit dem natürlich Gefühl, echte Qualität zu erleben.

 

Musterherstellung und Nähen

 

Handwerksprodukte berühren uns leichter emotional

Es ist jedoch vielleicht nicht nur eine Frage von Hausverstand, was die materielle Qualität angeht, die uns davon überzeugt, die Handarbeit von Handwerkerinnen und Handwerkern jener von Massenproduzentinnen und -produzenten vorzuziehen. Wir müssen auch unseren Drang zu künstlerischer Wertschätzung bedenken – die Fähigkeit, sich von Produkten aus künstlerischer Arbeit berühren zu lassen. 

Diese Eigenschaft wird in ihrer extremsten Form – wenn wir bei der Begegnung mit bestimmten Sinnesreizen (meist aus künstlerischer Produktion) weinen, uns schwindlig fühlen, eine erhöhte Herzfrequenz haben oder sogar in Ohnmacht fallen – als Stendhal-Syndrombezeichnet, benannt nach der französischen Schriftstellerin Marie-Henri Beyle aus 19. Jahrhundert, besser bekannt unter dem Pseudonym Stendhal. Diese hatte eben solche Reaktionen, als sie die Basilika Santa Croce in Florenz erblickte: eines der größten Beispiele handwerklicher Steinmetzkunst auf Erden.

Nicht jeder erlebt das Stendhal-Syndrom, aber es soll mit Empathie zusammenhängen und, was die handwerkliche Produktion betrifft, mit dem Gefühl, dass wir nicht ganz glauben können, dass jemand unserer eigenen Spezies in der Lage war, etwas so scheinbar Jenseitiges und Schönes zu produzieren.

Vielleicht ist es genau das, was uns dazu treibt, die Handarbeit von Kunsthandwerkerinnen und -handwerkern sowie Künstlerinnen und Künstlern zu besitzen: die Tatsache, dass sie uns das permanente Gefühl geben, sich mit dem Genie eines anderen zu umgeben und sich in dieses Genie einfühlen zu können, das in die Arbeit eingeflossen ist – direkt bei uns zu Hause abhängig von unserem täglichen Leben.

Schließlich haben Handwerkerinnen und Handwerker laut Keirsey die folgenden Persönlichkeitsmerkmale gemeinsam:

  • Sie sind in der Regel lebenslustig, optimistisch, realistisch und konzentriert
  • Sie sind stolz darauf, unkonventionell, mutig und spontan zu sein
  • Sie sind spielerische Gefährten, kreative Eltern und Problemlöser
  • Sie sind reizbar, vertrauen ihren Impulsen, wollen Aufmerksamkeit erregen, suchen Anregung, schätzen Freiheit und träumen davon, Handlungskompetenzen zu beherrschen

Ist es ein Wunder, dass wir ihr Handwerk so inspirierend und bereichernd finden? Es ist fast so, als ob die Früchte ihrer Arbeit ein wenig von ihrer Persönlichkeit in unser eigenes Leben bringen würden.

Wir haben das Gefühl, dass wir durch die Auseinandersetzung mit der Ästhetik ihrer Arbeit die Leidenschaft, die Kreativität, die Mühe und sogar die Unvollkommenheiten, die in ihre Produktion geflossen sind, besser schätzen können. Ja, auch die Unvollkommenheiten. Ist unsere Liebe zu den winzigen Mängeln handgefertigter Gegenstände, die man bei maschinell hergestellten Objekten nicht findet, nicht symptomatisch für unser Einfühlungsvermögen? Zeigt das nicht, wie sehr wir die Frustration schätzen, die Handwerkerinnen und Handwerker erleben, wenn sie einen Fehler machen? Und ist das nicht paradoxerweise das, was es einfach perfekt macht?

 

Geigenbauer

 

Der Wert der Seltenheit

Schließlich sollten wir, wie oben vorschlagen, den emotionalen (und in der Folge finanziellen) Wert nicht ignorieren, den die seltene Qualität der handgefertigten Produkte ihnen verleiht. Dies hängt natürlich mit unserem breiteren Verständnis von künstlerischer Wertschätzung und der Idee zusammen, dass ein von Hand hergestelltes Objekt es uns erlaubt, die Leidenschaft zu spüren, die von der Handwerkerin oder dem Handwerker in die Arbeit einfließt.

Wenn wir die beinahe übernatürliche Kraft eines handwerklich gefertigten Gegenstandes erleben, die uns emotional berührt, fühlen wir uns dazu getrieben, diesen Gegenstand besitzen zu wollen und ihn als Hilfsmittel zu haben, mit dem wir an diese Kraft anzapfen können, wann immer uns danach ist. Denn, so sagen wir uns, es gibt nicht viele davon und was, wenn wir die Gelegenheit verpassen?

Dasselbe gilt für die Bauqualität und die Kundenerfahrung – wenn ein schön gestalteter, einfach zu bedienender Gegenstand, der unser Leben verbessern wird, zwar existiert, aber nur in einer kleinen Menge, haben wir das Gefühl, wir sollten dafür sorgen, dass wir es bekommen, solange wir können.

Aus diesem Grund hat man in der Massenproduktion den Wert des Angebots von limitierten Auflagen kennen gelernt, die die knappe Qualität nachahmen, welche bei handwerklich hergestellten Waren naturgemäß vorkommt. Es ist das, was ein Poststrukturalist ein Simulakrum der Seltenheit nennen würde – eine Kopie ohne Original. Waren in limitierter Auflage sind Massenprodukte (und damit unendlich reproduzierbar), aber sie sind durch das Design begrenzt (mit einer vorgegebenen Höchstmenge produziert), einfach aus dem Wissen heraus, dass die Menschen auf Seltenheit als ein Symbol von großem Wert reagieren und sich um den Besitz reißen werden.

Die Begrenztheit der Handwerksprodukte hingegen ist einfach ein Indikator dafür, dass der handwerkliche Gegenstand all jene Elemente enthält, die wir von den Dingen des Lebens sowohl brauchen als auch uns wünschen – Gebrauchstauglichkeit (die unser Leben erleichtert), Bauqualität (Langlebigkeit) und ästhetische Schönheit (die unsere künstlerische Wertschätzung inspiriert). Deshalb fühlen wir uns bei Investitionen in Handwerksprodukte so viel wohler, als wenn wir uns in den Kauf teurer limitierter Editionen stürzen: Die eine hat einen greifbaren Wert, den wir über den Moment des Kaufs hinaus erleben können; die andere hat einen begrenzten Wert, den man im schlimmsten Fall nicht einmal über den Moment des Kaufs hinaus genießen kann.

 

Bildhauer

 

Ein Handwerkskunst bewusstes Kundenpublikum

Im Handelsfeld des 21. Jahrhunderts haben die Konsumentinnen und Konsumenten viel von der Macht zurückgewonnen, die sie im 20. Jahrhundert an die Massenproduktion verloren haben. Das liegt wohl daran, dass das schiere Gewicht der Erfahrung mit schlecht produzierten Waren, die sich vermehrten, zu frustrierend, zu zeitaufwändig und zu teuer wurde (das gleiche Stück immer wieder zu ersetzen ist eine kostspielige Angelegenheit).

Unabhängig davon, ob sich die Käuferinnen und Käufer von Handwerksprodukten über die Vor- und Nachteile ihrer Entscheidung für handwerkliche Qualität im Klaren sind oder nicht, eines ist sicher: Sie wissen instinktiv, wie wichtig echte Handwerkskunst ist. Und allein aus diesem Grund wählen sie es in immer größerer Zahl.